Die anspruchsvolle Gemüseküche ist eine größere und vor allem kreativere Herausforderung an den Koch als ein Steak zum perfekten Garpunkt zu führen. Auch die Weinauswahl ist alles andere als einfach. Viele Gemüse enthalten Gerb- und Bitterstoffe, fruchtige Süße und Säure können eine tragende Rolle spielen, oft bestimmt eine deutliche Textur das Mundgefühl. Einige der schmackhaftesten Gemüsesorten wie Artischocke, Tomate, Aubergine oder Blattspinat galten lange als grundsätzlich inkompatibel mit hochwertigen Weinen. Dabei ist es längst an der Zeit, der Gemüseküche die gleiche Sorgfalt bei der Weinbegleitung zukommen zu lassen, wie sie bei einem Lammkarree oder einem Steinbutt selbstverständlich ist. Und siehe da, entlang fundierter Kriterien ist einiges möglich, auch zu den klassischen Sturköpfen aus dem Gemüsebeet.
BLATTSPINAT
Säurebetonte Weißweine tun sich schwer mit dem reichlich Oxalsäure enthaltenden und dadurch leicht bitter und adstringierend schmeckenden Gemüse. Auch Rotweine passen nicht. Oft schmecken sie zu Spinat stumpf und metallisch. Butter oder Sahne können die Oxalsäure abpuffern und für eine cremige Textur sorgen.
Passend ist ein säuremilder Weißwein, mit Aroma, Körper und Grip. Der fränkische Silvaner vom Muschelkalk passt mit seiner milden Säure ausgezeichnet zu verschiedensten Spinatrezepturen wie Tarte, Pasta, Gnocchi oder Lasagne. Auch zur Spinatcremesuppe ist er eine gute Wahl.
Der wunderbar zarte, feingliedrige Corbières aus dem heißen Süden ist ebenfalls ein überzeugender Begleiter von Gerichten mit Blattspinat.
Im Gegensatz zu einem säurebetonten Standard-Muscadet ist der Gras Mouton der Domaine de la Pépière aufgrund seines langen Ausbaus auf der Hefe, verbunden mit wiederholter Bâtonnage und BSA (Biologischer Säure Abbau), eine weitere Empfehlung zum Blattgemüse.
ARTISCHOKEN
Artischocken gelten in der kulinarischen Welt dank ihres Bitterstoffs Cynarin als schwierig mit Wein zu begleiten. Tatsächlich schmecken im Holzfass ausgebaute Weine, egal ob weiß oder rot, aufgrund ihres hohen Anteils an natürlichem Umami überhaupt nicht zum Gemüse. Auch gerbstoffreiche Weine passen nicht. Denkt man jedoch an die klassisch zur Artischocke gereichte Vinaigrette, die den Bitteraromen mit Säure begegnet, wird klar, worauf es bei einem passenden Wein ankommt.
Da wir ausgewiesene Artischocken-Liebhaber im Team haben, garantieren unsere drei Empfehlungen geprüften Genuss.
AUBERGINEN
Die lila Beeren gelten aufgrund ihrer Bitterstoffe als Enfant terrible bei der Weinbegleitung. Mittlerweile haben jedoch viele Züchtungen (leider) die typischen Aromen auf ein Minimum reduziert. Insbesondere in Verbindung mit fruchtigen, vollreifen Tomaten können gute Auberginensorten zum kulinarischen Highlight werden, das nach einem leicht kühlen, beerigen Rotwein, ohne aromatisch wirksamen Holzfassausbau verlangt.
Schon im Duft zeigt der Montepulciano von Cirelli eine für diese Preisklasse ungewöhnliche, erdige, mineralische Tiefe, die von Kirschfrucht ummantelt wird. Hinzu kommt eine an wilde Rosen und Veilchen erinnernde florale Duftigkeit. Pikant und erfrischend gleitet er über die Zunge und wirkt dabei zugleich beerig charmant.
Auch der portugiesische Rotwein der Casa de Mouraz versteht es ausgezeichnet, ein zwar sommerliches, aber trotzdem gehaltvolles Auberginengericht regelrecht zu beleben.
TOMATEN
Die vernehmliche Pflicht einer Tomate ist es – dank des namensgebenden Lycopins – rot zu sein, obwohl heute auch weiße, schwarze, gelbe, violette, grüne oder orangene Tomaten auf den Märkten erhältlich sind. Über 3000 Sorten sind registriert. Die Frucht die eigentlich eine Beere ist, wird in anderen Kulturkreisen aufgrund ihrer Süße auch als Obst angesehen. Das Tomatidin ist für den typischen, aromatisch grünen Tomatengeschmack verantwortlich. Ungekocht ist es leicht giftig, weshalb der grüne Stielansatz herausgeschnitten werden sollte. Dank der hohen Säure, zu der im Fall der Vollreife Süße hinzukommt, ist bei der Weinbegleitung Fingerspitzengefühl gefragt. Auch gekocht birgt die Tomate einige Herausforderungen, da sich das Tomatidin auch beim Erhitzen nicht zersetzt, sondern sogar potenziert und in Verbindung mit Wein einen leicht metallischen Geschmack zur Folge haben kann.
Trockene Weißweine aus einer Aromarebsorte sind Kandidaten zu Rezepturen mit frischen Tomaten, vor allem dann, wenn im Wein salzige Assoziationen zur Frucht hinzukommen. Sehr gut passt der charaktervolle Sauvignon Blanc Gamlitz aus der Steiermark, aber auch ein galizischer Albariño von Fulcro ist eine Option. Überraschend ist die Kombination mit einem puristischen, vollkommen trockenen Gewürztraminer, wie ihn Sven Leiner in seltener Perfektion vinifiziert.
Zu Gerichten mit gekochter Tomatensauce passen am überzeugendsten rustikale italienische Rotweine mit robuster Struktur.
GRÜNE BOHNEN
Dank seines hohen Anteils an Ballaststoffen kommt dieses Gemüse sehr gut mit Rotweinen zurecht. Dabei sind fast so viele passende Weinmöglichkeiten denkbar, wie Bohnensorten existieren. Rotwein passt also irgendwie immer. Einen Traumpartner gibt es aber trotzdem: Die französische Rebsorte Gamay.
Bei Stephane Sérol an der Côte Roannaise stehen alte Gamayreben auf Granitböden. Der Duft seines Gamay Saint Romain aus der kleinen Einzellage Oudan zeigt Aromen von Sauerkirschen und Himbeeren, dazu Anflüge von Holunderbeeren und Granatapfel, die sich mit Würze und Wärme vereinen. Mit seinen weichen, reifen Gerbstoffen eckt dieser Wein nirgends an und schmiegt sich förmlich an den Gaumen. Beerige Frucht vereint sich mit reifer Säure. Ein nicht satt machender Leckerschmecker mit feiner mineralischer Granitader.
Unsere zweite Gamay-Empfehlung kommt aus dem Beaujolais, zeigt feine, rote Beerenfrucht und Schwarzkirsche, dazu leicht mineralische Noten, und passt mit seiner eleganten, kräutrigen Frische ebenfalls gut zum Gemüse. Diesen Wein bitte nicht bei Zimmertemperatur, sondern kühler servieren.
Wer es etwas fülliger und wärmer mag, wählt den mediterranen Petit Accent aus den Rebsorten Grenache und Syrah.
RATATOUILLE
Sommer im Topf! Bei diesem Gericht aus Nizza sollte präzise auf die unterschiedlichen Garstufen der Gemüse geachtet werden. Auberginen röstet man im Ofen vor, reife Paprika und Tomaten laufen als enthäutete Filets (aus dem Backofen) erst zur Hochform auf. Zucchini dürfen nur ganz kurz gegart werden. Neben anderen Kräutern und etwas Knoblauch gibt eine Prise Lavendelblüten den Kick. Am Gaumen vereinen sich alle Grundgeschmacksrichtungen – süß, sauer, salzig, bitter und umami – mit einer großen Vielfalt an Aromen.
Der perfekt passende Rotwein kommt aus dem Roussillon. Er zeigt Beeren- und Sauerkirschfrucht, zarte Kräuternoten, bleibt dabei kühl, mit seidigem Tannin und belebend frischem Säurezug. Alte Reben und minimalste Erträge sorgen für Tiefe, ein außergewöhnliches Terroir auf der Hochebene von Calce für Finesse. Ein Wein, so präzise am Gaumen wie ein perfektes Ratatouille zubereitet werden muss.
Von den Terrasses du Larzac (dem vielleicht besten Terroir im Languedoc) kommt die zweite Empfehlung. Fein und kühl wie Seide schleicht dieser Rotwein über die Zunge, geschmeidig und wohltuend. Schon die in erster Linie steinig mineralische Nase, von leiser dunkler Beerenfrucht durchzogen, lässt Besonderes erwarten. Konrad Pixner extrahierte aus den Beerenschalen ein dichtes Netz samtiger Gerbstoffe. Sie wirken frisch im Mund, sind lang und kühl am Gaumen und schmelzen geschmeidig und hochfein auf der Zunge ab. Reife dunkle Früchte, steinige Mineralität und Anklänge von Blüten fügen sich wunderbar ein. Nicht nur zu einem Ratatouille eine Freude.
Wer es lieber italienisch mag, greift zu einem prächtig gelungenen kleinen Bruder des Brunello. Ein Sangiovese von betörender Klarheit, reich an Aromen und Geschmackstiefe.
FENCHEL
Der Knollenfenchel, ein Gemüse-Star der italienischen Küche, erfreut sich mittlerweile auch in Deutschland wachsender Beliebtheit. Wie die Saat enthält auch die Knolle ätherische Öle, die für den typischen Anisgeschmack verantwortlich sind. Hinzu kommen leicht süßliche und dezent bittere Aromen, die dem Wein einiges abverlangen. Er sollte in Punkto Aroma also durchaus Wumms mitbringen.
Ein spektakulärer Albariño aus Galicien ist hier unsere erste Wahl. Seine belebende Säure fängt die Bitterstoffe des Fenchels ein, seine mineralische, salzige Frische und Nachhaltigkeit begegnen den Gemüsearomen auf Augenhöhe.
Gut passen auch regionale Weine aus Aromarebsorten, aber nur wenn sie seriös vinifiziert wurden, also ohne den häufig aufgesetzten Frucht-Kitsch auskommen. Musterbeispiele sind der Sauvignon Blanc Pur von Seckinger und die Scheurebe von Jülg.
WURZELGEMÜSE MIT LINSEN
Zu einem rustikalen Eintopf aus einheimischen Karotten, Pastinaken, Sellerie, Petersilienwurzeln und Linsen passt ein ebenso bodenständiger Wein aus der Region. Für die Qualität der Gemüse ist der Boden genauso ausschlaggebend wie für den Wein. Von schlechten Böden kommt kein gutes Gemüse und schon gar kein guter Wein.
Der Grauburgunder Herrenstück von Holger Koch ist ein spitzenmäßiger Essensbegleiter und unsere Top-Empfehlung: Feine gelbe Frucht, Kamillenblüte, schlanker Schmelz. Angenehm herbe Phenolik und spürbare Textur. Knochentrocken, kühl und präzise. Kein weichgespülter Tante Frieda-Pinot Grigio, sondern ein durch und durch herzhafter Burgunder, der es sowohl mit der Aromatik als auch der Textur des Gerichts aufnehmen kann.
Michael Andres steckt viele Stunden Weinbergsarbeit in die Vitalität seiner Böden. Auf Löss und Lehm wächst sein Weißburgunder, der typischer nicht sein könnte: Apfel, Zitrus, Steinobst, Mandel und ein Hauch Anis strömen aus dem Glas. Großartige Würze und belebende Frische lassen ihn nicht nur zum Wurzelgemüse glänzen.
RADICCHIO / CHICORÉE / ENDIVIE
Nicht nur roh, sondern auch gegrillt, geschmort oder gebraten können diese Gemüse zubereitet werden. Für die harmonische Begleitung mit ein paar Gläsern Wein ist das leicht bittere Intybin tonangebend, was durch Erhitzen deutlich an Intensität verliert. Manche Rezepturen karamellisieren das Gemüse beim Braten, frische Kräuter, Gewürze, Nüsse oder Mandeln sind weitere mögliche Zutaten.
In jedem Fall passt zu diesen winterlichen Bittergemüsen ganz besonders gut ein restsüßer Moselkabi, z.B. der von Andreas Adam aus dem Häs'chen. Er steht für einen einzigartigen Weintyp, der so weltweit nur an der Mittelmosel entstehen kann. Seine Brillanz, Präzision und Leichtigkeit verleihen der feinen, dezenten Fruchtsüße Flügel, so dass die Bitterstoffe der Gemüse nur noch als leiser Hintergrund wahrgenommen werden, der dem Teller seine herbe Wärme gibt.
AVOCADO
Avocados wachsen und reifen in ihrer tropischen Heimat das ganze Jahr über. Bei uns stehen sie nicht nur im Winter, aber vermehrt dann auf den Einkaufszetteln, wenn das Angebot frischer, regionaler Gemüse eingeschränkt ist. Mit ihrem hohen Fettgehalt und cremigen Mundgefühl dominieren sie aus der Perspektive des begleitenden Weins so ziemlich jede Rezeptur.
Eine Verbindung aus weicher Säure, dosiertem Schmelz und pikanter Würze, wie sie der Koch‘sche Chardonnay aus dem Herrenstück ins Glas zaubert, passt hier perfekt. Ein eleganter Wein mit klaren Konturen und moderatem Alkohol.
Prima kombiniert sich auch der seriös vinifizierte Chardonnay der Bodega Cerrón.
KÜRBIS
Ein Butternut- oder Hokkaidokürbis aus dem Ofen spricht aromatisch in warmen Tönen. Zitrus- und Kräuterwürze sorgen dabei für dringend benötigte Frische und Lebendigkeit am Gaumen, die der Wein unterstützen sollte.
Der passende Begleiter kommt von der Loire. Sehr alte Chenin Blanc-Reben liefern die Trauben für diesen komplexen, auch preislich anspruchsvollen Wein, der gleichwohl hält, was er verspricht: Animierende Zitrusnoten, reife Säure, kühle Mineralik (Feuerstein), weiche Textur und ganz feines Holz eifern am Gaumen um die Wette. Der Nachhall ist pikant und anregend. Nicht zu kalt, bei mindestens 12°C genießen, nachdem der Wein mindestens eine Stunde zuvor geöffnet wurde (gerne dekantieren). Wer es lieber regional mag, kann Chenin Blanc aus der Pfalz zum Kürbis servieren.
ROTE BEETE
Rote Beeten enthalten zwar Oxalsäure, da die Menge in den Knollen aber sehr gering ist, hat dies keine Auswirkungen auf die Weinauswahl. Vielmehr ist die erdige Aromatik entscheidend, die sich charakteristisch durch alle Arten der Zubereitung zieht. Ein bester Freund der roten Beete ist der Blaufränkisch, insbesondere dann, wenn die Frucht und nicht der Holzfassausbau im Vordergrund steht.
Franz Weninger schafft es wie kaum ein anderer, aus dieser Rebsorte authentische, ungeschminkte Weine zu vinifizieren. Bereits sein günstigster Blaufränkisch begleitet unterschiedlichste Rezepturen mit roten Beeten vortrefflich. Er bringt Lehm und Kalk – und somit Tiefe und Feinheit – ins Glas. Die Nase zeigt Sauerkirsche, schwarze Oliven und dunkle Beeren. Auch am Gaumen steht die rote Frucht im Mittelpunkt, genügend Säure sorgt für Frische, feine Tannine für Würze.
Alternativ zum Blaufränkisch passt auch Spätburgunder. Zur Roten Beete braucht es keine teuren Lagen-Crus, sondern erschwingliche Basisweine. Eine Benchmark bei den Gutsweinen ist der Spätburgunder von Rings, mit guter Struktur, feiner Sauerkirschfrucht und kräutrigen Noten.
Sein direktes Mundgefühl und seine fruchtige Präsenz am Gaumen verdankt der Kaiserstühler Pinot Noir N dem fehlenden Schwefel. Dinge wegzulassen ist eine Kunst, Holger Koch beweist nicht nur hier sein feinfühliges Händchen.